Lange krank: Verfällt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers?
Lang andauernde Krankheiten können für Arbeitnehmer eine große Herausforderung darstellen, sowohl physisch als auch psychisch. In solchen Situationen sind viele Arbeitnehmer verunsichert, wie sich ihre Krankheit auf ihren Urlaubsanspruch auswirkt, ob sie überhaupt noch Anspruch auf Urlaub haben oder ob ihnen sogar die Kündigung bei einer langen Erkrankung droht.
- Habe ich einen Anspruch auf Urlaub bei langer Krankheit?
- Darf mein Chef meinen Urlaubsanspruch wegen langer Krankheit kürzen?
- Wann verfällt mein Urlaub bei langer Krankheit?
- Steht mir Urlaub zu, wenn mein Arbeitsverhältnis aufgrund einer langen Krankheit ruht?
- Kann mein Chef mich bei langer Krankheit kündigen?
- Was passiert mit meinem Urlaub bei krankheitsbedingter Kündigung?
- Darf ich trotz Krankschreibung in Urlaub fahren?
- Verfällt mein Urlaubsanspruch, wenn ich im Urlaub krank werde?
Habe ich einen Anspruch auf Urlaub bei langer Krankheit?
Die gute Nachricht: Beschäftigte, die über eine längere Zeit krank sind, verlieren ihren Anspruch auf Urlaub nicht! Der Urlaubsanspruch bleibt trotz Krankheit bestehen, schließlich hat der Arbeitnehmer erst dann die Möglichkeit Urlaub in Anspruch zu nehmen, wenn er wieder gesund ist. Möglich gemacht hat das eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Az. C-350/06). Danach darf nationales Recht längerfristig erkrankten Beschäftigte ihren Anspruch auf Urlaub nicht entziehen. Dies würde laut Gericht im Widerspruch zum EU-rechtlich verankerten Anspruch auf einen vierwöchigen Mindesturlaub stehen. Der Gedanke dahinter ist, dass Urlaub ein Recht ist, das unabhängig von der Arbeitsfähigkeit besteht und zur Erholung und Regeneration dient. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie nach ihrer Genesung das Recht haben, den angesammelten Urlaub zu beantragen und zu nutzen, um sich zu erholen und wieder ins Arbeitsleben einzusteigen.
Wichtig: Die Übertragung des Urlaubs kann aber laut einer weiteren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Az. C-214/10) zeitlich begrenzt werden.
Darf mein Chef meinen Urlaubsanspruch wegen langer Krankheit kürzen?
Der gesetzliche Mindesturlaub darf vom Arbeitgeber bei langer Krankheit des Beschäftigten nicht gekürzt werden. Für den Anspruch auf Mindesturlaub ist ein bestehendes Arbeitsverhältnis notwendig, nicht das der Arbeitnehmer auch tatsächlich arbeitet.
Wann verfällt mein Urlaub bei langer Krankheit?
Das Bundesurlaubsgesetz regelt, dass ein Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub im laufenden Kalenderjahr in Anspruch nehmen muss. Ausnahmsweise kann der Urlaub auf das nächste Jahr übertragen werden, wenn der Urlaub aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht genommen werden konnte. In diesem Fall muss der Urlaub bis zum 31. März genommen werden, ansonsten verfällt der Urlaubsanspruch.
Bei langer Krankheit sieht das anders aus: Das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZR 353/10) hat entschieden, dass der Anspruch auf Urlaub bei langer Krankheit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt.
Arbeitnehmer, die nach einer längeren Krankheit ins Unternehmen zurückkehren, sollten sich daher zeitnah um ihre Urlaubsplanung kümmern. Denn hier gilt: Sobald der Arbeitnehmer wieder seine Arbeit aufgenommen hat, läuft die Frist.
Steht mir Urlaub zu, wenn mein Arbeitsverhältnis aufgrund einer langen Krankheit ruht?
Bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern endet nach sechs Wochen die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und er erhält Krankengeld oder ähnliches. Ab diesem Zeitpunkt ruhen die arbeitsvertraglichen Pflichten – das heißt, der Arbeitgeber muss keinen Lohn zahlen und der Beschäftigte muss nicht arbeiten. Ob auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis Ansprüche auf Urlaub begründen kann, wurde lange Zeit von den Gerichten unterschiedlich beurteilt. Das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZR 353/10) hat dann im Jahr 2012 klargestellt, dass Urlaubsansprüche auch während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses entstehen. Laut Gericht ist das sog. Ruhen des Arbeitsverhältnisses kein Grund dem kranken Arbeitnehmer Ansprüche auf Urlaub abzusprechen. Schließlich ruhe das Arbeitsverhältnis auch während der Elternzeit und der Arbeitnehmer erwerbe auch in dieser Zeit Anspruch auf Urlaub.
Kann mein Chef mich bei langer Krankheit kündigen?
Die große Sorge von vielen Arbeitnehmern ist, dass bei langer Krankheit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht. Diese Sorge ist nicht unbegründet, denn der Arbeitgeber hat die in der Tat die Möglichkeit langzeiterkrankte Beschäftigte zu kündigen. Dafür müssen aber folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Der Arbeitnehmer war sechs Wochen oder länger im Jahr erkrankt, eine Besserung seiner Gesundheit ist nicht absehbar und eine Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewichtet die Interessen des Arbeitgebers an einer Kündigung stärker.
Das LAG Rheinland-Pfalz (Az. 9 Sa 683/08) hat entschieden, dass ein Arbeitgeber das Recht hat einen Arbeitnehmer bei langer Krankheit zu kündigen, wenn nicht abzusehen ist, wie lange der Arbeitnehmer noch krank sein wird. Laut Gericht reicht für die krankheitsbedingte Kündigung eine negative Prognose von 2 Jahren.
Eine Kündigung eines langzeiterkrankten älteren Arbeitnehmers ist laut LAG Baden-Württemberg (Az. 4 Sa 14/07) zulässig und verstößt nicht gegen das Diskriminierungsverbot.
Das BAG (Az. 2 AZR 755/13) hat in einer Entscheidung klargestellt, dass ein Arbeitnehmer auch bei vielen Kurzerkrankungen gekündigt werden kann, aber nur, wenn der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten hat.
Was passiert mit meinem Urlaub bei krankheitsbedingter Kündigung?
Wird ein Beschäftigter krankheitsbedingt gekündigt werden, sind oft noch Urlaubtage offen. Das Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer, die Urlaubstage wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nehmen konnten, einen Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung des Urlaubs haben. Für alle noch nicht verfallenen Urlaubstage muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer entlohnen. So entschied auch das Arbeitsgericht Bielefeld (Az. 7 Ca 214/14) im Fall eines Beschäftigten, der nach zwei Jahren Krankheit aus dem Betrieb ausschied.
Darf ich trotz Krankschreibung in Urlaub fahren?
Beschäftigte, die arbeitsunfähig erkrankt sind, müssen sich so verhalten, dass sie möglichst schnell wieder gesund und arbeitsfähig werden. Alles was die Krankheit verschlimmert, muss der Arbeitnehmer unterlassen. Wenn ein Urlaub aber zur Genesung des Arbeitnehmers beiträgt, spricht nichts dagegen auch während einer Krankschreibung in Urlaub zu fahren. Wichtig ist, dass der Urlaub dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers gut tut, bzw. nicht schadet.
Verfällt mein Urlaubsanspruch, wenn ich im Urlaub krank werde?
Wer im Urlaub krank wird, muss nicht befürchten, dass seine genommenen Urlaubstage verfallen. Arbeitnehmern, die mit einem ärztlichen Attest ihre Krankheit nachweisen können, werden die Urlaubstage während einer Krankheit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Sie erhalten eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die gutgeschriebenen Urlaubstage können aber nicht einfach an den Urlaub hinten drangehangen, sondern müssen beim Arbeitgeber beantragt werden.
erstmals veröffentlicht am 05.06.2020, letzte Aktualisierung am 04.04.2024
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