Notwehr: Wann darf ich mich bei einem Angriff verteidigen?
Ein Mensch, der angegriffen wird, hat das Recht sich zu wehren. Doch wann gilt die Verteidigung bei einem Angriff als Notwehr? Mit welchen Mitteln darf man sich bei einem Angriff zur Wehr setzen? Ist Notwehr auch dann erlaubt, wenn der Angriff selbst provoziert wurde? Und was versteht man unter einem Notwehrexzess?
Was versteht man unter Notwehr?
Notwehr ist im Strafgesetzbuch definiert. Danach ist „Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder einem anderen abzuwenden“. Wer aufgrund der Notwehr eine Straftat begeht, handelt laut Gesetz nicht rechtswidrig. Das Strafrecht stellt Notwehr grundsätzlich nicht unter Strafe. Nach § 32 StGB ist Notwehr eine erforderliche Verteidigung in einer Notwehrlage.
Wann zählt eine Verteidigung bei einem Angriff als Notwehr?
Damit eine Verteidigung bei einem Angriff als Notwehr gilt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So muss eine Notwehrlage vorliegen, die Notwehrhandlung muss erforderlich und geboten sein, dem Opfer muss seine Notwehrlage auch bewusst sein und es muss einen Verteidigungswillen haben.
1. Besteht eine Notwehrlage?
Ein Mensch befindet sich in einer Notwehrlage, wenn er einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf individuelle Rechtsgüter, wie körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Eigentum, ausgesetzt ist. Angegriffen und bedroht werden können nicht nur die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, sondern auch beispielsweise seine Ehre. Daher kann Notwehr auch bei Beleidigungen vorliegen. Auch das Hausrecht ist ein notwehrfähiges Rechtsgut, entschied das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth (Az. 13 S 8728/94). Verlässt ein Besucher trotz Aufforderung nicht das Haus, kann der Hausherr ihn mit Anwendung von Gewalt entfernen.
Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, schon begonnen hat oder noch andauert. Während dieser Zeitspanne ist eine Notwehrhandlung legitim.
2. Ist die Notwehr erforderlich und geboten?
Eine Notwehrhandlung ist erforderlich und geboten, wenn sie das mildestes zur Verfügung stehende Verteidigungsmittel wählt, um den Angriff sicher zu beenden.
Im Fall zweier junger Männer, bei der im Rahmen einer Auseinandersetzung ein Mann einem anderen ins Gesicht schlug und daraufhin der Freund des Geschlagenen seinen Bierkrug nahm und diesen gegen den Kopf des Angreifers haute, hielt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Az. 1 RVs 38/13) dies für eine erforderliche Notwehrhandlung. Laut Gericht darf ein Opfer einen Angriff mit dem mildesten Mittel abwehren, dass ihm in der Situation zur Verfügung steht um den Angriff sofort zu beenden. Das Opfer muss dabei kein Verteidigungsmittel wählen, dass eine zweifelhafte Wirkung hat und den Kampf mit dem Angreifer ungewiss macht. Das Gericht sprach den Bierkrug-Schläger von einer Körperverletzung frei. Seine Tat sei durch Nothilfe gerechtfertigt gewesen. Er habe mit seinem Angriff seinem Freund helfen und weiter Schläge des Angreifers verhindern wollen. Die Notwehrhandlung sei auch erforderlich gewesen, um den Angriff des Schlägers endgültig abzuwehren. Er habe auch nicht auf mildere Verteidigungsmittel, wie etwa Wegschubsen, zurückgreifen müssen, da damit der Ausgang des Kampfes ungewiss gewesen wäre. Der Schlag mit einem Bierkrug sei hingegen geeignet gewesen den Kampf endgültig zu beenden.
3. Ist dem Angriffs-Opfer die Notwehrsituation bewusst und will es Rechtsgüter verteidigen?
Weiterhin ist es notwendig, dass das Angriffs-Opfer sich seiner Notwehrlage bewusst ist und das angegriffene Rechtsgut auch verteidigen will.
Mit welchen Mitteln darf man sich gegen einen Angriff wehren?
In einer Notwehrsituation muss das Opfer das mildeste von allen geeigneten Mitteln zur Abwehr des Angriffs wählen.
Wird ein Pädagoge von einem Erstklässler geschlagen und bespuckt, darf er sich im Rahmen seiner Notwehr mit einer Ohrfeige wehren, entschied das OLG Düsseldorf (Az. 1 Ws 63/16).
Wer einen anderen Menschen aus nächster Nähe Zigarettenrauch absichtlich ins Gesicht bläst, begeht eine strafrechtlich relevante Beleidigung und Körperverletzung. Der Angeblasene darf sich im Rahmen der Notwehr mit dem Wurf eines Glases gegen den Raucher wehren, entschied das Amtsgericht (AG) Erfurt (Az. 910 Js 1195/13 48 Ds).
Eine Waffe darf das Opfer nur einsetzen, wenn es zuvor den Waffengebrauch angekündigt hat und danach einen Schuss in nicht lebensbedrohliche Körperteile absetzt. Hört der Angreifer dann immer noch nicht aus, kann das Opfer auch den Tod des Angreifers beim Waffengebrauch in Kauf nehmen.
Gibt es ein Recht auf Notwehr auch bei Provokation zum Angriff?
Provoziert jemand eine Körperverletzung, kann er sich nachher nicht auf sein Notwehrrecht berufen. Dies stellt das AG Frankfurt/Main (Az. 980 Ds 858 Js 24821/20) in folgendem Fall klar: Zwischen einem Pizzalieferanten und einem betrunkenen Kunden kam es zu einem Streit mit Handgreiflichkeiten wegen einer verspäteten Pizzalieferung. Als der Pizzalieferant schon 20 Meter vom Kunden entfernt war, rief er ihm zu: „Komm doch“ Wehr Dich!“ woraufhin der körperlich unterlegene Kunde kam und zu einem Schlag ausholte. Der Pizzalieferant schlug den Kunden daraufhin gegen dessen Kopf und dieser stürzte auf die Straße. Der Pizzalieferant wurde vom Gericht wegen Körperverletzung verurteilt. Das Gericht lehnte ein Notwehrrecht des Schlägers ab, da die Grenzen der rechtfertigenden Notwehr aufgrund der Provokation überschritten wurden. Er hätte dem Angriff ausweichen oder sich auf eine Schutzabwehr beschränken müssen.
Was versteht man unter einem Notwehrexzess?
Von einem Notwehrexzess spricht man, wenn das Opfer in einer Notwehrlage Verteidigungsmittel wählt, die zur Abwehr über das gebotene Maß hinausschießen. In diesem Fall handelt das Opfer rechtswidrig und kann bestraft werden. Eine Bestrafung scheidet nur dann aus, wenn die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken vom Opfer überschritten wurden.
So stellt das Freihalten eines Parkplatzes durch einen Fußgänger für den Autofahrer zwar eine Notwehrlage dar, er darf diesen aber nicht mit seiner Stoßstange umschubsen, so dass der Fußgänger zu Fall kommt, entschied das Bayerische Oberste Landesgericht (Az. 2 St RR 239/94). Hier hat der Autofahrer die Grenzen der Notwehr überschritten.
erstmals veröffentlicht am 25.05.2017, letzte Aktualisierung am 18.09.2023
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