Wann haftet das Pflegeheim bei Unfällen?
Ein Pflegeheim muss sicherstellen, dass das Umfeld für die Bewohner gefahrlos ist und die Pflege den individuellen Bedürfnissen der Bewohner entspricht. Wird diese Verantwortung vernachlässigt und führt dies zu einem Unfall, können Schadensersatzansprüche gegen das Heim geltend gemacht werden. Doch in welchen Fällen haftet das Pflegeheim und in welchen nicht?
- In welchen Fällen haftet das Pflegeheim bei einem Unfall?
- In welchen Fällen scheidet eine Haftung des Pflegeheims bei einem Unfall aus?
- Wer muss die Pflichtverletzung des Pflegeheims beweisen?
- Welche Ansprüche haben gestürzte Pflegeheim-Bewohner?
- Unfälle im Pflegeheim – wo finden Betroffene und Angehörige Hilfe?
- Wie muss das Pflegeheim seine Bewohner vor Unfällen schützen?
- Welche Vorkehrungen muss das Pflegeheim bei dementen Bewohnern zum Unfallschutz treffen?
- Wann dürfen Pflegeheimbewohner zum Schutz vor Unfällen fixiert werden?
In welchen Fällen haftet das Pflegeheim bei einem Unfall?
Dem Pflegeheim obliegt gegenüber seinen Bewohnern eine Verkehrssicherungspflicht, das bedeutet, dass die Räumlichkeiten und das Gelände so gestaltet und überwacht werden, dass keine unnötigen Gefahren für die Bewohner bestehen. Das Pflegeheim muss etwa darauf achten, dass Bodenbeläge rutschfest sind, Treppen gut beleuchtet und Handläufe vorhanden sind. Wenn es offensichtliche Gefahrenquellen für die Bewohner des Pflegeheims gibt, wie nasses Laub im Eingangsbereich oder defekte Stufen, muss das Heim diese beseitigen oder entsprechende Warnhinweise anbringen. Wird diese Verkehrssicherungspflicht verletzt und ein Bewohner erleidet aufgrund eines solchen Mangels einen Unfall, kann das Pflegeheim für den entstandenen Schaden haften.
Neben der Verkehrssicherungspflicht ist das Pflegeheim auch verpflichtet, seinen Bewohnern einen angemessenen Schutz zu bieten, insbesondere wenn diese aufgrund ihres Gesundheitszustands gefährdet sind. Bewohner, die beispielsweise sturzgefährdet sind, müssen besonders beobachtet und abgesichert werden. Das Pflegepersonal muss in solchen Fällen Maßnahmen ergreifen, wie etwa den Einsatz von Sturzprophylaxe, Geh- und Bewegungshilfen oder Bettgitter. Die Pflegekräfte müssen eine individuelle Pflegeplanung erstellen, die die besonderen Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigt, um Unfälle zu verhindern. Verletzt das Pflegepersonal diese Sorgfaltspflicht, indem es notwendige Maßnahmen nicht ergreift oder die Bewohner nicht ausreichend betreut, kann das Pflegeheim haftbar gemacht werden, wenn ein Unfall passiert. Werden etwa pflegebedürftige und demenzkranke Pflegeheimbewohner in einem Zimmer mit heißem Tee in Thermoskannen unbeaufsichtigt gelassen und verbrennt sich eine im Rollstuhl sitzende demente Bewohnerin am heißen Tee, so hat das Pflegeheim eine Pflichtverletzung begangen und muss Schadensersatz leisten. Dies stellt das Schleswig-Holsteinische OLG (Az.4 U 85/12) klar und sprach der Krankenkasse, bei der die Heimbewohnerin versichert war, mehr als 85.000 Euro Schadensersatz für die Behandlungskosten zu.
In welchen Fällen scheidet eine Haftung des Pflegeheims bei einem Unfall aus?
Nicht in allen Fällen haftet ein Pflegeheim bei einem Unfall. Es gibt Situationen, in denen das Heim keine Verantwortung trägt, etwa wenn ein Bewohner trotz klarer Anweisungen und ausreichender Sicherungsmaßnahmen selbst ein Risiko eingeht und dadurch einen Unfall erleidet, kann das Heim von der Haftung befreit sein. In manchen Fällen lassen sich Unfälle trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindern. Bewohner können auch bei der besten Betreuung stürzen, besonders wenn ihr Gesundheitszustand stark eingeschränkt ist.
So geschehen bei einem Bewohner, der alleine Stehen und Gehen kann, aber beim Wechseln seiner Inkontinenzeinlage stürzt. Das LG Coburg (Az.11 O 660/09) entschied, dass das Pflegeheim für diesen Unfall nicht haftet. Das Pflegeheim müsse die körperliche Unversehrtheit seiner Bewohner nur bei den üblichen Pflegemaßnahmen schützen. Da der Mann bis zum Unfall keine Stützhilfe benötigte, gab es für das Pflegeheim keinen Anhaltspunkt den Mann beim Wechseln der Inkontinenzeinlage besonders zu sichern.
Wurde einer Pflegeheimbewohnerin vom Pflegepersonal nahegelegt bei den nächtlichen Toilettengängen Hilfe in Anspruch zu nehmen und wurde ihr ein Nachstuhl ans Bett gestellt und gezeigt, wie das Bettgitter funktioniert, hat das Pflegeheim seine Pflichten gegenüber der Heimbewohnerin erfüllt und haftet nicht bei einem Sturz, entschied das OLG Dresden (Az. 2 U 753/04).
Das Pflegeheim haftet auch nicht für die Folgen eines Sturzes einer Heimbewohnerin, wenn es möglich sein könnte, dass der Sturz die Folge eines Spontananbruch des Oberschenkelhalsknochens war und nicht eine Fahrlässigkeit des Pflegepersonals, so das OLG Hamm (Az. 17 U 35/13).
Eine unzureichende Treppenbeleuchtung im Pflegeheim führt allein noch nicht zur Haftung des Pflegeheims bei einem Unfall, entschied das Amtsgericht München (Az. 121 C 31386/09). Reicht dem Bewohner die Treppenbeleuchtung nicht aus, sollte er die Treppe nicht nutzen, so das Gericht.
Wird eine Heimbewohnerin im Fahrstuhl trotz Lichtschranke und Bewegungssensoren eingeklemmt, haftet das Pflegeheim für diesen Unfall nicht, wenn der Fahrstuhl regelmäßig gewartet und ansonsten unfallfrei betrieben wurde, so das OLG Düsseldorf (Az. I-24 U 144/15).
Wer muss die Pflichtverletzung des Pflegeheims beweisen?
Im Falle eines Unfalls liegt die Beweislast in der Regel bei den Angehörigen oder dem betroffenen Bewohner. Sie müssen nachweisen, dass das Pflegeheim seine Pflichten verletzt hat und der Unfall auf diese Pflichtverletzung zurückzuführen ist.
Um diese Nachweise zu erbringen, empfiehlt sich die Pflegepläne genauer anzuschauen. Hier können Mängel in der Pflegeplanung oder Betreuung aufgedeckt werden. Auch Aussagen von Pflegepersonal oder anderen Bewohnern können helfen, den Unfallhergang zu klären. Daneben können medizinische Gutachten nachweisen, ob das Heim gegen Pflichten verstoßen hat.
Welche Ansprüche haben gestürzte Pflegeheim-Bewohner?
Wenn das Pflegeheim für einen Unfall eines Bewohners haftbar gemacht werden kann, können dem geschädigten Bewohner oder seinen Angehörigen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche zustehen.
Bei nachweisbarer Fahrlässigkeit des Heims können die Kosten für medizinische Behandlungen oder eine notwendige Rehabilitation geltend gemacht werden.
Unfälle im Pflegeheim – wo finden Betroffene und Angehörige Hilfe?
Kommt es wiederholt zu Unfällen im Pflegeheim, ungewollten Fixierungen oder etwa mangelhafter Pflegeleistung sollte der Betroffene oder die Angehörigen diese Mängel unbedingt dokumentieren - am besten schriftlich mit Datum, einem Zeugen und/oder mit Fotos. Pflegeheimbewohner oder ihre Bevollmächtigten haben zudem ein Recht auf Einsicht in die Pflegeakte, in der die vorgenommene Pflege dokumentiert sein sollte.
Beschweren können sich Pflegeheimbewohner beim Personal, der Heimleitung und dem Heimbeirat. Führt die Beschwerde zu nichts, kann die Pflegekasse und die Heimaufsicht informiert werden. Zudem kann die Universalschlichtungsstelle des Bundes des Zentrums für Schlichtung e.V. angerufen werden, um einen Konflikt außergerichtlich zu lösen. Ist dies alles nicht möglich, bleibt die Option mit Hilfe eines Anwalts für Sozialrecht gerichtlich gegen Missstände im Pflegeheim vorzugehen.
Wie muss das Pflegeheim seine Bewohner vor Unfällen schützen?
Das Pflegeheim hat selbstverständlich die Pflicht Gesundheitsschäden von seinen Bewohnern abzuwenden und Vorkehrungen zu treffen, damit ist nicht zu Unfällen kommt.
Die Pflichten eines Pflegeheims gegenüber seinen Bewohnern ergeben sich unter anderem aus dem Sozialgesetzbuch und dem Heimgesetz. So darf ein Pflegeheim einen hilfebedürftigen Bewohner nur dann aufnehmen, wenn seine personellen und Fachlichen Kapazitäten für die zu erbringende Pflegeleistung ausreichen. Es muss eine umfangreiche Erhebung der Krankengeschichte des Bewohners bei der Aufnahme ins Pflegeheim durchführen. Dabei müssen auch Sturzrisiken anhand von bestimmten Risikofaktoren ermittelt und dokumentiert werden. Das Pflegeheim muss einen Pflegeplan erstellen, bei der ein mögliches Sturzrisiko berücksichtigt sein muss. Der Pflegeplan muss prophylaktischen Maßnahmen und Hilfsmittel aufführen. Kann der Bewohner nicht ausreichend bei der Ermittlung seiner Krankengeschichte behilflich sein, muss der Betreuer befragt werden.
Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgericht Stuttgart (Az. 4 K 897/12) ist ein Pflegeheim verpflichtet während der Nachtzeit durchgehend mindestens eine Pflegekraft bereitzustellen, die die Nachtwache übernimmt. Eine bloße Nachtbereitschaft reicht nicht aus.
Welche Vorkehrungen muss das Pflegeheim bei dementen Bewohnern zum Unfallschutz treffen?
Ein dementer Bewohner eines Pflegeheims, bei dem erkennbar eine Selbstschädigungsgefahr gegeben ist, darf nicht in einem Wohnraum im Obergeschoss mit leicht zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) (Az. III ZR 168/19) und führt in seiner Entscheidung aus, dass die Schutzpflichten eines Pflegeheims nicht generell festgelegt werden können, sondern immer im Einzelfall je nach Verfassung des pflegebedürftigen Bewohners und unter Abwägung aller Umstände entschieden werden müssen. Schließlich sei das Pflegeheim einerseits verpflichtet die Menschenwürde und das Recht auf Freiheit des dementen Bewohners zu achten, aber es muss andererseits auch sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit schützen.
Das OLG Karlsruhe (Az. 7 U 21/18) entschied im Fall eines dementen Bewohners, der bei seinem Toilettengang stürzte, dass das Pflegeheim nur die Schutzmaßnahmen ergreifen muss, die aufgrund des Sturzrisikos des Bewohners notwendig sind.
Anders entschied das OLG Zweibrücken (Az. 4 U 68/05) im Fall einer schwer dementen Heimbewohnerin, die stürzte, weil ein Pfleger sie am Waschbecken stehen ließ, um den Toilettenstuhl zu holen. Die Frau verstarb in Folge des Sturzes und das Gericht sah im Verhalten des Pflegepersonals eine schwere Pflichtverletzung, die zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000 Euro an den hinterbliebenen Ehemann führte.
Im Fall einer Bewohnerin mit einer Alzheimer-Erkrankung, die beim Mittagessen unbemerkt in das Treppenhaus gelangt und dort schwer stürzte, lehnte das Landgericht (LG) Coburg (Az. 22 O 355/13) eine Haftung des Pflegeheims ab. Die Pflichten eines Pflegeheims seien auf die mit vernünftigen, finanziellen und personellen Aufwand zu realisierenden üblichen Pflegemaßnahmen beschränkt. Das Pflegeheim habe keine freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie etwa eine zwangsweise Fixierung der Patientin, durchführen müssen, da sie sich in keiner konkreten Gefahrensituation befand.
Ein Pflegeheim ist nicht verpflichtet bei dementen Heimbewohnern Gitter an deren Bett anzubringen, entschied das LG Köln (Az. 3 O 5/19). Begründung: Ein Bettgitter könne die Sturzgefahr erhöhen, weil die Möglichkeit besteht, dass demente Bewohner versuchen über das Gitter zu klettern. Zudem führe es zu einer Unbeweglichkeit des Heimbewohners, die bei ihm zu Muskelabbau und damit zu einer motorischen Unsicherheit führt.
Wann dürfen Pflegeheimbewohner zum Schutz vor Unfällen fixiert werden?
Eine länger andauernde Fixierung von pflegebedürftigen Heimbewohnern muss von einem Richter genehmigt werden, entschied der BGH (Az. XII ZB 24/12). Eine Vorsorgevollmacht, die auch diese Maßnahmen umfasst, reicht als Zustimmung zu einer Fixierung nicht aus. Bei einer Fixierung – ob zeitweise oder dauerhaft – handelt es sich um einen Freiheitsentzug, wenn der Betroffene noch in der Lage ist seinen Aufenthalt willensgesteuert zu verändern. Dieser Freiheitsentzug muss gerichtlich überprüft werden. Eine Vorsorgevollmacht, die auch diese Maßnahmen umfasst, ändert daran nichts.
Angehörige oder Betroffene, die mit einer Fixierung nicht einverstanden sind, sollten sich vom Pflegeheim die richterliche Genehmigung der Maßnahme zeigen lassen. In vielen Fällen liegt diese gar nicht vor. Ansonsten kann gegen die richterliche Genehmigung auf dem Rechtsweg vorgegangen werden. Dazu empfiehlt sich unbedingt die Unterstützung durch einen Anwalt für Sozialrecht einzuholen.
erstmals veröffentlicht am 03.04.2014, letzte Aktualisierung am 30.09.2024
Lesen Sie hier weitere Fachartikel im Themenbereich Schadensersatz & Haftpflicht
Hier finden Sie bundesweit Rechtsanwälte für Versicherungsrecht