Pferde: Wann haften Halter, Verkäufer und Tierarzt?
Ob Reitunfall, Pferdekauf oder Krankheiten beim Pferd: Die Haftungsrisiken bei der Pferdehaltung und im Reitsport sind vielfältig: Wann und in welcher Höhe haftet der Pferdehalter oder der Reitstall bei Reitunfällen? Was gilt bei Problemen beim Pferdekauf? Und welche Pflichten treffen den Tierarzt bei der Behandlung eines Pferdes?
Reitunfall: Wann und in welcher Höhe haftet der Pferdehalter für Schäden?
Der Halter eines Pferdes kann im Rahmen der Tierhalterhaftung für alle Schäden in Anspruch genommen werden, die sein Tier verursacht. Die Tierhalterhaftung ist eine reine Gefährdungshaftung, das heißt, es kommt nicht auf ein Verschulden des Pferdehalters an. Es reicht aus, dass sich eine typische Tiergefahr realisiert – beim Pferd ist das zum Beispiel das Ausbrechen, Buckeln, Ausschlagen oder Durchbrechen. Der Pferdehalter muss in der Höhe unbegrenzt für den verursachten Schaden einstehen.
So erhält ein 10jähriges Mädchen, dass von einem Pony ins Gesicht getreten wurde und dabei mehrere Zähne verlor und schließlich mit herausnehmbarem Zahnersatz leben musste, 5.000 Euro Schmerzensgeld vom Pferdehalter, entschied das Landgericht Aachen (Aktenzeichen 10 O 654/89).
Ein Mann der nach einem Pferdetritt einen dreifachen Kieferbruch, eine Gehirnerschütterung erlitt und dessen Ohr zum Teil abgerissen wurde, erhielt 10.000 Euro Schmerzensgeld, so das Landgericht Kiel (Aktenzeichen 9 O 275/00).
20.000 Euro Schmerzensgeld musste der Pferdehalter an einen Jungen zahlen, der von dessen Pferd durch einen Tritt am Kopf verletzt wurde, urteilte das Landgericht Bückeburg (Aktenzeichen 3 O 163/97). Der Junge war mit seinem Fahrrad am Pferd vorbeigefahren, als dieses ausschlug.
Eine Frau, die ein Pferd fütterte, als dieses durch ein Pony erschreckte wurde, ausschlug und der Frau einen Oberschenkelhalsbruch zufügte, erhielt nach einem Urteil des Landgericht Oldenburg (Aktenzeichen 17 O 410/03) 35.000 Euro Schmerzensgeld.
Eine Frau, die durch einen Pferdetritt ins Gesicht ihr Augenlicht verlor, bekam vom Oberlandesgericht Köln (Aktenzeichen 22 U 254/97) 175.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
Bei einer Reitbeteiligung haftet der Pferdehalter nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg (Aktenzeichen 8 U 510/11) allerdings nicht für einen Reitunfall der Reiterin. Begründung: Eine Reitbeteiligung beinhalte einen stillschweigenden vertraglichen Haftungsausschluss.
Anders entschied das Landgericht München I (Aktenzeichen 20 O 2974/19) im Fall einer Reiterin und Pferdehalterin, die ausdrücklich vereinbart hatten, dass die Reiterin als Reitbeteiligung in die Haftpflichtversicherung der Pferdehalterin mit aufgenommen werden sollte. Dies sprach für das Gericht eindeutig gegen einen Haftungsausschluss.
Probleme beim Pferdekauf- Wann haftet der Verkäufer?
Der Verkäufer eines Pferdes muss das Tier frei von Mängeln an den Käufer übergeben. Er haftet also, wenn beim Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe an den Käufer ein Sachmangel im Sinne des Kaufrechts gegeben ist. Ein Sachmangel liegt vor, wenn die tatsächliche Beschaffenheit des Pferdes von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit abweicht.
Ein Kaufvertrag über einen Hengst kann nicht rückabgewickelt werden, wenn es sich um ein gebrauchtes Pferd handelt. Ein Pferd, dass bei seiner Versteigerung auf einer Auktion zweieinhalb Jahre alt war, ist als „gebraucht“ zu betrachten, entschied der Bundesgerichtshof (Aktenzeichen VIII ZR 240/18).
Verschweigt der Verkäufer allerdings Operationen im Bereich der Beugesehen des Vorderbeins, kann der Käufer die Rückabwicklung des Pferdekaufs verlangen. Das Pferd ist als Freizeitpferd damit nicht mehr tauglich, entschied das Oberlandesgericht Köln (Aktenzeichen 16 U 68/17.
Wann haftet der Reitlehrer oder die Reitschule?
Auch ein Reitlehrer oder eine Reitschule können Schäden haften. Kommt es etwa im Rahmen einer Reitstunde zum Sturz eines Reitschülers, stellt sich die Frage nach dem Verschulden. Hat der Reitlehrer oder die Reitschule Sorgfaltspflichten verletzt, können daraus Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche resultieren.
Doch nicht jeder Sturz führt zur Haftung der Reitschule. Im Fall eines fünfjährigen Mädchens, das während einer Reitstunde aufgrund von Gleichgewichtsproblemen vom Pony rutschte, schloss das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 12 U 130/12) eine Haftung der Reitschule aus. Der Reitunterricht wurde von einer kompetenten und erfahrenen Reitlehrerin durchgeführt, der kein Fehlverhalten zu zurechnen ist. Das Mädchen hatte Erfahrung mit Pferden und konnte dem Unterricht gut folgen. Die Gruppengröße und die Unterrichtsdauer hatten keine Auswirkungen auf den Reitunfall. Die Reitschule hat daher keine Sorgfaltspflichten verletzt.
Im Fall eines Reitlehrers, während dessen Reitstunde eine Schülerin vom Pferd fiel, weil das Pferd abrupt seine Richtung änderte, als zwei andere Pferde seinen Zirkel in der Reithalle durchquerten, haftet der Reitlehrer nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen der Schülerin, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Aktenzeichen 4 U 162/12). Der Reitlehrer habe zwar seine Sorgfaltspflichten verletzt, weil er in der Situation die Schülerin nicht aufgeforderte habe im Schritt-Tempo weiterzureiten. Das Pferd sei aber erst ausgebrochen, als das Tor hinter den beiden Pferden schon geschlossen war. Laut Gericht kann davon ausgegangen werden, dass das Pferd auch ausgebrochen wäre, wenn die Schülerin erst Schritt und nach dem Schließen des Tors wieder angetrabt wäre. Es fehlt somit am Kausalzusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Sturz der Schülerin.
Das Oberlandesgericht Oldenburg (Aktenzeichen15 U 47/03) lehnte die Haftung einer Reitschule im Fall eines dreizehnjährigen Mädchens, das im Rahmen eines freien, unbeaufsichtigten Reitens von einem ansonsten gutmütigen Pony gestürzt war, ab. Begründung: Der Sturz des Mädchens sei auch mit einer Aufsicht nicht zu verhindern gewesen wäre. Es handele sich dabei um allgemeines Lebensrisiko.
In einer weiteren Entscheidung urteilte das Oberlandesgericht Oldenburg (Aktenzeichen 8 U 7/20), dass ein Ponyhof-Betreiber für den Reitunfall eines Kindes, dessen Pony von seiner Mutter geführt wurde, haftet. Auch wenn die Mutter als „Tieraufseher“ die Verantwortung für den Ausritt übernommen hat, konnte sie darlegen, dass ihr kein Verschulden vorzuwerfen war. Dem gestürzten Kind wurde rund 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.
Für welche Schäden haftet der Reitstall?
Will ein Pferdehalter sein Pferd in einem fremden Stall unterstellen, wird in der Regel zwischen Pferdehalter und Reitstall ein sog. Einstellungsvertrag geschlossen. Oft wird in diesem Vertrag die Haftung des Reitstalls oder der Pferdepension bei Schäden auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beschränkt.
Aus diesem Grund wurde die Klage eines Pferdehalters gegenüber dem Reitstall, in dem sein Pferd eingestellt war, ablehnt. Der Pferdehalter warf dem Stallbesitzer vor, eine Verletzung am Bein seines Pferdes übersehen zu haben, weshalb das Pferd wochenlang nicht trainiert werden konnte. Er verlangte die Tierarztkosten vom Reitstallt ersetzt. Das sah das Landgericht Augsburg anders: Der Stallbesitzer hafte laut Vertrag nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Beides sei nicht beweisbar. Der Pferdebesitzer könne nicht nachweisen, dass der Stallbesitzer sein Pferd in Kenntnis der Verletzung in der Box habe stehen lassen.
Unzufriedene Pferdehalter können den Einstellungsvertrag auch nicht ohne weiteres fristlos kündigen. Mängel in der medizinischen Pflege und im Betritt rechtfertigten nicht immer eine fristlose Vertragskündigung, so das Amtsgericht München (Aktenzeichen 418 C 21135/18). Ist im Einstellungsvertrag geregelt, dass für die Ausbildung des Pferdes ein gesonderter Vertrag mit dem Reitlehrer/Bereiter getroffenen werden muss, haftet der Reitstallbesitzer nicht für Mängel im Betritt oder der medizinischen Pflege.
Kommt es zu einer Erkrankung beim eingestellten Pferd, weil kontaminierte Silage verfüttert wurde, haftet die Pferdepension für die entstanden Tierarztkosten, so das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 21 U 14/16). Die Haftung erfolge verschuldensunabhängig im Sinne des Produkthaftungsgesetzes, da der Stall Hersteller der Silage war.
Welche Pflichten treffen den Tierarzt bei der Behandlung eines Pferdes?
Reitpferde sind ein teures Hobby. Kommt das Tier aufgrund der Behandlung vom Tierarzt zu Schaden, oder stirbt sogar, muss der Tierarzt unter Umständen für den Schaden haften.
Ein Tierarzt der einen Dressurhengst einer nachweislich nicht notwendigen Operation unterzog, muss dessen Eigentümer Schadensersatz von 60.000 Euro zahlen, weil das Tier nach der Operation dauerhaft lahmte. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 26 U 3/11).
Ein Tierarzt, der eine Fissur bei einem Pferd übersah und es dadurch beim Reiten zu einer Fraktur am Bein des Pferdes kam, muss für die fehlerhafte Behandlung Schadensersatz an die Pferdehalterin zahlen, entschied das Oberlandesgericht Osnabrück (Aktenzeichen 14 U 100/14). Das Pferd überstand zwar die Operation der Fraktur, wurde aber noch am gleichen Tag getötet.
Der Erwerb eines Pferdes ist eine nicht unerhebliche finanzielle Anschaffung. Da empfiehlt es sich für den Pferdekäufer, das Tier vorm Kauf von einem Tierarzt gründlich untersuchen zu lassen. Übersieht der Tierarzt eine Krankheit oder eine nicht vertragsgemäße Beschaffenheit des Tieres führt das zur Haftung. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 21 U 143/12) im Fall einer Ankaufsuntersuchung, bei der der Tierarzt nicht vermerkte, dass das Pferd noch ein vollständiges Milchgebiss hatte und deshalb - entgegen den Angaben im Pferdepass und Kaufvertrag - noch keine vier Jahre alt sein konnte.
Ein Tierarzt, der sich in eine enge Pferdebox mit Stute und Fohlen begibt und bei der Untersuchung eines Fohlens von der Stute mit Tritten verletzt wird, trägt am Unfallgeschehen eine Mitschuld, entschied das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 6 U 104/15
Hat der Tierarzt eine fehlerhafte Kastration bei einem Pferd durchgeführt, muss er die Behandlungskosten übernehmen, entschied das Amtsgericht Ansbach (Aktenzeichen 3 C 78/15). Er haftet auch, wenn er den Pferdehalter nicht über mögliche Kastrationsmethoden aufklärt und das Pferd nach der Kastration verstirbt, so das Oberlandesgericht Hamm (Aktenzeichen 3 U 28/16). In einem weiteren Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Aktenzeichen 26 U 95/14) weist das Gericht daraufhin, dass ein Tierarzt bei einer risikoreichen Behandlung eines Pferdes immer eine Aufklärungspflicht über die Risiken gegenüber dem Pferdehalter hat.
erstmals veröffentlicht am 02.07.2020, letzte Aktualisierung am 12.07.2021
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